
Das bombardierte Mietshaus in der Krakowskie-Przedmieście-Straße 46, Ecke T. Kościuszko-Straße 1939.
Autor: Ludwik Hartwig. Sammlung von Marek Pluta.
Der neunte September 1939 war ganz ruhig und plötzlich brach die Hölle los. Die Flugzeuge kamen. Meine Mama stand damals für das Brot an. Jemand schrie, es wären die Unseren, die anderen – es seien die Deutschen. Und so kam die Bombardierung.
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Danuta Strzelecka, geboren 1932 Niedrzwica Kościelna, aufgezeichnet 2012.
Mit dem deutschen Einmarsch in Polen am 1. September 1939 begann die gewaltsame Besatzung, verbunden mit kolonialen Ambitionen. Am 17. September fiel auch die Sowjetunion in Polen ein. Die Besatzungsmächte teilten das Land in eine sowjetische und eine deutsche Zone. Die von Deutschland kontrollierten Gebiete wurden entweder annektiert – wie das Wartheland – oder besetzt wie das Generalgouvernement.


Briefmarke mit Bild der Brama Krakowska in Lublin, herausgegeben im Generalgouvernement.
Lublin im Zentrum des gleichnamigen Distrikts im Generalgouvernement wurde gleich zu Kriegsbeginn bombardiert. Die Präsenz der Deutschen war unübersehbar: Straßen wurden umbenannt und trugen nun deutsche Namen, Hakenkreuzfahnen wehten und Wehrmachtssoldaten marschierten durch die Stadt.

Das Gebäude der Darlehenskasse der Lubliner Industriellen (heute das Hotel Lublinianka), in ein Deutsches Haus umgewandelt. Das Foto stammt aus dem 1942 von den Deutschen herausgegebenen „Führer durch die Stadt Lublin“, der einen deutschen Charakter der Stadt hervorheben sollte.
Wir waren hungrig. Brot zu bekommen war schwer. Wir standen um vier Uhr morgens auf und stellten uns in die Schlange. Wir kauften Vollkornbrot. Manchmal hatten wir einen Becher Rote- Bete-Marmelade. Das musste für den ganzen Tag reichen. Klöße kochten wir aus gefrorenen Kartoffeln, die leicht süß schmeckten. Manchmal aßen wir mehrere Tage nichts als diese Klöße aus gefrorenen Kartoffeln. Sonst wären wir verhungert.
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Maria Pietraszewska, geboren 1929 in Lublin, aufgezeichnet 2010.
Die Zivilbevölkerung lebte in ständiger Angst vor den Besatzern. Strenge Gesetze bildeten den Rahmen für die rassistische NS-Politik gegen Polen, Juden, Sinti, Roma und andere Bevölkerungsgruppen. Dies führte zu Morden an den Eliten, Konfiszierung von Eigentum, Rationierung von Lebensmitteln sowie Inhaftierungen in Konzentrationslagern.
Eine Abteilung der Gestapo kam nach Kamionka. Sie verhafteten drei Lehrer, den Bürgermeister der Gemeinde, den Gemeindesekretär, den Pfarrer, den Vikar und den Schulleiter. Zwölf Personen machten sie den Prozess. Alle wurden verurteilt und am 6. Januar 1940 hingerichtet.
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Krystyna Potrzyszcz, geboren 1933 in Kamionka, aufgezeichnet 2019.

Trümmer der Jezuicka-Straße nach der Bombardierung Lublins am September 1939.
Foto: Ludwik Hartwig. Sammlung von Marek Pluta.
Extras:
Danuta Strzelecka
Maria Pietraszewska
Krystyna Potrzyszcz
Sammlung von Marek Pluta
„Führer durch die Stadt Lublin” 1942
Danuta Strzelecka (geboren Rynkowska) kam im Jahre 1932 in Niedrzwica Kościelna bei Lublin zur Welt. Bis zum vierten Lebensjahr wohnte sie auf dem Land. Ihre Eltern waren Landarbeiter. 1936 oder 1937 zog die Familie nach Lublin. Sie wohnten in einem Mietshaus in der Górna-Straße 7. Der Vater bekam eine Stelle als Hausmeister im selben Haus und machte dazu noch Gelegenheitsarbeiten auf Baustellen. Die Mutter führte den Haushalt und nahm auch zusätzliche Arbeiten auf. In der Besatzungszeit handelte sie mit Lebensmitteln, die sie aus den naheliegenden Dörfern holte. Danuta Strzelecka hatte noch zwei ältere Schwestern.
Ihre Bildung in der Grundschule (Volksschule) in der Dolna-Panny-Marii-Straße fing Danuta Ende September 1939 an. Die Schule (sieben Klassen) schloss sie im Juni 1946 ab. Sie setzte ihre Bildung im Mädchengymnasium der Lubliner Union fort. Im September 1946 trat sie auch der im Gymnasium aktiven Pfadfindergruppe (der so genannten „trzynastka“, deutsch: Dreizehn) bei. Im Dezember 1946 legte sie ihr Pfadfinderversprechen ab. In der Pfadfinderbewegung war sie bis 1949 aktiv, als der Staat die Lubliner Pfadfindereinheit auflöste. Danach beteiligte sich Danuta an der Errichtung und Tätigkeit einer konspirativen Jugendorganisation „Trójki“ (deutsch: Dreien). Das Ziel dieser Organisation war Selbsterziehung und Widerstand gegen kommunistische Indoktrination und Propaganda. Im Juni 1951 machte Danuta das Abitur und bemühte sich um einen Studienplatz. Sie wurde aber nicht aufgenommen, obwohl sie das Abitur als Klassenbeste bestand. Mitte 1951 zusammen mit anderen Personen, die bei „Trójki“ engagiert waren, wurde sie verhaftet.
Am Anfang wurde sie in der Haft des Amtes für Öffentliche Sicherheit in der Chopin-Straße festgehalten und später zum Lubliner Burggefängnis verlegt, wo die Vernehmung fortgesetzt wurde. Im April 1952 wurde vor dem Militärgericht in Lublin eine Anklage gegen sie wegen Bestrebungen erhoben, die Staatsordnung der Volksrepublik Polen mit Gewalt zu stürzen (Art. 86, § 1 und 2 StGB). Danuta Strzelecka wurde zur Freiheitsstrafe von zwei und halb Jahren verurteilt. Das Urteil, später durch Amnestie auf vierzehn Monate verkürzt, saß sie im Lubliner Burggefängnis und in Chełm ab, von wo aus sie am 15. Januar 1953 in die Freiheit entlassen wurde. Nach ihrer Entlassung bekam sie mit Hilfe von einem befreundeten Ehepaar Danuta und Stanisław Magierski eine Stelle im Lubliner Kräuterbetrieb und danach in der Arbeitergenossenschaften Permedia, die auf Basis von der verstaatlichten Pharmagroßhandlung von Stanisław Magierski entstand. In dieser Zeit schloss sie die technische Fachschule für Pharmazie in Wrocław ab. In Permedia arbeitete sie bis Januar 1981 und ging dann in Rente. Sie war in der Untergrundorganisation „Solidarność“ (deutsch: Solidarität) tätig. Zu ihren wichtigsten Tätigkeitsbereichen gehörten: Kaufen von Papier, Austragen von unabhängigen Veröffentlichungen und Briefmarken und Zuständigkeit für Briefkasten für Kontakte. Zwischen 1981 und 1992 arbeitete sie mit dem Polnischen Blindenverband zusammen. Nach der Wende engagierte sie sich für den Lubliner Verband der politischen Gefangenen. Sie war Mutter von drei Kindern. Danuta Strzelecka starb 2019.

Maria Pietraszewska, geboren Ślusarka, wurde am 11. April 1929 geboren. Ihr Vater Władysław war Mechaniker und arbeitete in der Flugzeugfabrik von Plage-Laśkiewicz in Lublin. Ihre Mutter Aleksandra, geboren Prędkiewicz, arbeitete zunächst als Verkäuferin, gab aber später ihre Arbeit auf und führte den Haushalt. Frau Maria hatte eine zwei Jahre jüngere Schwester Teresa. Die Familie lebte in einem Haus in der Ogrodowa-Straße und später in der Leśna- und in der Skibińska-Straße.
Die Zeit der deutschen Besatzung verbrachte Maria in Rury Jezuickie. Sie erinnert sich an die Wohnung von ihrer Großmutter in der Kowalska-Straße in Lublin und danach in der Rybna-Straße, wohin sie aus der 3-Maja-Straße umgesiedelt wurde, als die Deutschen anfingen, das Ghetto zu liquidieren. Maria erinnert sich an die Liquidierung des Ghettos und an die schrecklichen Szenen aus jener Zeit. Sie absolvierte die Narcyza Żmichowska Volksschule Nr. 9 in Lublin und im Jahre 1944 wurde sie in das Chemische Gymnasium in Lublin aufgenommen. Im Rahmen des Berufspraktikums arbeitete sie in einer Farben- und Lackierfabrik in Pszczela Wola, in einem Chemiewerk in Częstochowa und in einer Zuckerfabrik in Włostów.
Nach dem Abitur heiratete Maria und zog nach Ostrowiec Świętokrzyski um, wo sie eine Stelle in der dortigen Sanitär-Epidemiologischen Station antrat. Nach ein paar Jahren Pause, als sie sich um ihre Töchter kümmerte, nahm sie ihre berufliche Tätigkeit wieder auf und arbeitete im Labor für Lebensmitteluntersuchung bei der Konsumgenossenschaft „Społem“. Danach kehrte sie in ihre Heimatstadt Lublin zurück, wo sie eine Stelle als Leiterin und stellvertretende Leiterin im Labor des Fleischverarbeitungsbetriebs der Lubliner Społem-Filiale innehatte. Im Jahre 1978 ging Maria Pietraszewska in Rente. Sie nahm an Seminaren der Universität des Dritten Lebensalters teil. Sie lebt in Lublin.
Krystyna Potrzyszcz wurde am 16. Oktober 1933 in Kamionka bei Lubartów geboren. Sie hatte keine Geschwister. Ihr Vater betrieb im Elternhaus eine Schusterwerkstatt.
Krystyna ging in Kamionka in die Grundschule. Eingeschult wurde sie schon während der deutschen Besatzung.
Im Jahre 1947 verließ sie Kamionka und besuchte eine Oberschule in Lublin. In ihrer Schulzeit wohnte sie in verschiedenen Pensionen. Sie absolvierte das Lyzeum der Lubliner Union. Nach dem Abitur, das sie 1951 machte, trat sie eine Stelle in der Personalabteilung der Maria-Curie-Skłodowska-Universität an und arbeitete dort zwei Jahre lang. Nach der Heirat zog sie mit ihrem Ehemann Henryk zusammen. Sie wohnten bei Krystynas Schwiegereltern in der Wohnung in der Okopowa-Straße/Ecke Narutowicz- Straße. Nach der Geburt ihres ersten Kindes, des Sohnes Andrzej, zog Krystyna mit ihrem Ehemann nach Poniatowa, wo Henryk eine Arbeit fand. Während der Zeit in Poniatowa schloss Krystyna das Fernstudium in Geschichte ab und arbeitete in verschiedenen Bildungs- und Erziehungseinrichtungen. Dort kam auch ihre Tochter zur Welt.
Nach 13 Jahren kehrte Krystyna nach Lublin zurück und wohnte in der Słowacki-Wohnsiedlung. In Lublin arbeitete sie als Geschichtslehrerin an der Grundschule Nr. 35. 1991 ging sie in Pension. Seit 2006 ist sie Mitglied der Sektion der Rentner der Gewerkschaft der polnischen Lehrerschaft (Związek Nauczycielstwa Polskiego). Seit 2008 führt sie die Chronik der Sektion und ist im Vorstand tätig – sie organisiert Monatstreffen, Ausflüge und Ferienfahrten für 2 Wochen. Derzeit lebt sie mit ihrer Enkelin und ihrer Familie in Lublin.

Sammlung von Marek Pluta
Die Fotos, die Zerstörungen nach der Bombardierung von Lublin am 9. September 1939 darstellen, wurden von Ludwik Hartwig gemacht. Aus den von dem Fotografen angefertigten Meldungen ist zu entnehmen, dass diese Fotos am 11. und am 12. auf Anordnung des Kommandanten der Polizei der Öffentlichen Sicherheit aufgenommen wurden. Während des Fotografierens wurde Hartwig von einem Mitglied der Polizei der Öffentlichen Sicherheit – Stanisław Pappe begleitet. Unter den fotografierten Orten nennt der Fotograf: den Litauischen Platz, das Europäische Hotel mit Nachbarhäusern, Wyszyński-Straße (heute Niecała-Straße), Szopen-Straße, Kościuszko-Straße, Kapucyńska-Straße, Narutowicz-Straße, die Kathedrale, Jezuicka-Straße, Bramowa-Straße, Nowa-Straße, Łokietek Platz, das Zentrale Hotel und das Krakauer Tor, Lubartowska-Straße, Ruska-Straße, das Hotel Victoria, Krakowskie Przedmieście-Straße 62-64, Staszic-Straße, Świętoduska-Straße, 1-Maja-Straße, Bronowicka-Straße, Wesoła-Straße, Podwale-Straße, das Rathaus.
Fotografien, die Zerstörungen dokumentieren, zusammen mit den Handschriften von Meldungen stammen aus der Sammlung von Marek Pluta. In der Sammlung des Staatsarchivs in Lublin befindet sich ein Album, das die vollständige Dokumentation der Zerstörung enthält. Die meisten Fotos, die sich im Album befinden, sind Abzüge der gleichen Einzelbilder des Negativs.

„Führer durch die Stadt Lublin” 1942
Im Jahr 1942 veröffentlichte die Abteilung Propaganda im Amt des Gouverneurs Lublin den „Führer durch Lublin“. Seine Autoren waren Fritz Schöller und Max Otto Vandrey. Gedruckt wurde er vom Verlag Deutscher Osten G.M.B.H. in Krakau.
Sein Hauptziel war es, das „Deutschtum“ Lublins durch eine sorgfältig ausgearbeitete historische Skizze hervorzuheben. Dies sollte durch die verwendeten Dokumente bestätigt werden, z.B. eine Seite aus dem Stadtbuch mit deutschen Namen oder eine Seite aus dem in deutscher Sprache verfassten Kaufmannsbuch von 1713.
Die Broschüre umfasste 26 Seiten und 25 zeitgenössische und Archivfotos. Der Führer enthielt auch eine Verzeichnis deutscher Behörden und öffentlicher Einrichtungen sowie einen Stadtplan mit deutschen Straßennamen, z. B. Pl. Litewski wurde nach Adolf Hitler benannt, die Radziwiłłowska-Straße hieß Kommandanturstraße, die Świętoduska-Straße wurde Robert-Koch-Straße genannt.
Das Vorwort wurde vom Gouverneur des Distrikts Lublin, Ernst Zörner, verfasst:
Mit dem „Führer durch die Lublin” soll allen Deutschen, die Lublin besuchen oder hier tätig sind, die deutsche Vergangenheit und Gegenwart der Distrikthauptstadt eindringlich vor Augen geführt werden.
Schon vor sechs Jahrhunderten begann hier die Aufbauarbeit deutscher Handwerker und Kaufleute. Noch um die Mitte des 15. Jahrhunderts hatte das alte Lublin eine überwiegend deutsche Mehrheit, einen deutschen Rat an der Spitze der Stadt und lebte nach deutschem Recht.
Ich hoffe und wünsche, daß diese kleine Schrift dazu beiträgt, von der Bedeutung deutscher Arbeit im Osten einst und jetzt Zeugnis abzulegen.
„Führer durch die Stadt Lublin” 1942.