5. Ghettos

Das Leben im Ghetto war schwer. Wir wohnten zu zehnt in einem großen Zimmer mit der Familie meiner Mutter. Wir lebten damals fast an der Hungergrenze. Am Anfang gab es im Ghetto nicht umzäunte Teile und man konnte dadurch rausgehen, obwohl das verboten war. Später schlossen sie aber alles ab und stellten die Ukrainer oder die Letten hin, die mit den Deutschen zusammenarbeiteten, uniformiert und natürlich bewaffnet. Das Ghetto war mit einem Stacheldraht in Höhe von etwa zwei Metern oder mehr umzäunt.

Aleksander Grinfeld, geboren 1922 Lublin, aufgezeichnet 2006.

Szeroka-Straße, Hauptstraße des jüdischen Viertels in Lublin, um 1941.
Sammlung von Marek Gromaszek.

Auf Befehl von Reichssicherheitshauptamtschef Reinhard Heydrich wurden in den besetzten Gebieten Polens „Konzentrationspunkte“ eingerichtet, die zu Ghettos wurden. Sogenannte Judenräte wurden gezwungen, die Ghettos zu verwalten, die irreführend als „Wohngebiete für Juden“ bezeichnet wurden, um die Illusion von Selbstbestimmung zu erzeugen. Tatsächlich standen sie jedoch unter der Kontrolle der deutschen Zivilverwaltung.

„Die evakuierten Juden werden zunächst Zug um Zug in sogenannte Durchgangsghettos verbracht, um von dort aus weiter nach dem Osten transportiert zu werden.”

Auszug aus dem Protokoll der Wannsee-Konferenz vom 20.01.1942, S. 8.

Im März 1941 lebten fast 35.000 Jüdinnen und Juden im Lubliner Ghetto. Ein Drittel der Einwohner der Stadt war von den Straßen verschwunden. Insgesamt waren 1,5 Millionen Jüdinnen und Juden in über 400 Ghettos im Generalgouvernement eingesperrt. 1942 lebten im Warschauer Ghetto fast 450.000 Jüdinnen und Juden.

Bekanntmachung über die Bildung eines geschlossenen jüdischen Wohnbezirks in Lublin erlassen am 24.03.1941 vom Gouverneur des Distrikts Lublin Ernst Zörner.
Quelle: Staatsarchiv in Lublin, Band Nr. 632, Ref. 602.

Einwohner des Lubliner Ghettos ca. 1941. Im Hintergrund ist ein Gebäude hinter dem Grodzka Tor zu sehen. Das Foto wurde von einem Wehrmacht-Soldaten gemacht.
Sammlung von Andres Rump.

Im Ghetto sorgten wir Kinder für unsere Familien. Wir kannten die Gefahr und riskierten alles. Wenn die Wachen abzogen, krochen wir unterm Stacheldraht durch. Sobald niemand hinschaute, verließen wir das Ghetto, um für uns und unsere Eltern Lebensmittel zu organisieren.

Morris Wajsbrot, geboren 1930 in Lublin, aufgezeichnet 2010.

Die Lebensbedingungen in den verschiedenen Ghettos variierten. Einige waren mehr, andere weniger von der Außenwelt abgeschnitten. Alle waren jedoch überfüllt. Die Menschen verhungerten, starben an Krankheiten oder an den brutalen Folgen der Zwangsarbeit.
Ein Erlass vom Oktober 1941 verhängte die Todesstrafe gegen Jüdinnen und Juden, die das Ghetto verließen, sowie gegen diejenigen, die ihnen bei der Flucht halfen. Trotz der harten Lebensbedingungen organisierte die jüdische Bevölkerung soziale, pädagogische, politische und kulturelle Programme
in den Ghettos.

Zaun des Ghettos in Podzamcze, Kowalska-Straße, 1942.
Quelle: Nationalmuseum Lublin.

In Deutschland und Westeuropa gab es keine Ghettos, doch Jüdinnen und Juden wurden gezwungen, in speziell ihnen zugewiesene Häuser zu ziehen.

Haus in der Lippehner Str. 35 in Berlin. Das Gebäude wurde während des Zweiten Weltkriegs als sogenanntes Judenhaus genutzt.
Postkarte, 1908. Quelle: Simon Lütgemeyer.

Extras:

Aleksander Grinfeld

Das Wannsee-Konferenz Protokoll

Morris Wajsbrot

Sammlung von Andres Rump

Sammlung von Marek Gromaszek