Die „Aktion Reinhardt” ist ein wichtiges, jedoch wenig bekanntes Kapitel des Holocaust. Sie war Teil der NS-Pläne zur Ermordung der Jüdinnen und Juden Europas, zum Raub ihres Vermögens und zur Schaffung von Siedlungsraum für die Deutschen „im Osten“. Nach der Invasion Polens am 1. September 1939 wurden Millionen Menschen Opfer der brutalen Besatzung. Die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung basierend auf Rassenantisemitismus war von Anfang an eine zentrale Politik der Nationalsozialisten.

Ruinen des jüdischen Viertels in Podzamcze in Lublin, das von den Deutschen nach der Liquidierung des Ghettos 1942 zerstört wurde. Im Hintergrund ist die Maharshals-Synagoge zu sehen.
Sammlung von Symcha Wajs.
Ich zeichnete meinen Stammbaum und zählte, wie viele Mitglieder meiner Familie während des Holocaust in Polen ermordet wurden. Es waren 38. Eine traumatische Erfahrung! Sie starben, weil sie Jüdinnen und Juden waren. Das ist der Holocaust für mich. Er ist für mich besonders schrecklich, da ich nicht weiß, wo sie ihr Leben ließen. Für mich ist das mehr als eine Statistik.–
Sara Barnea, geboren 1930 in Tomaszów Lubelski, aufgezeichnet 2006.

Die zentrale Koordination des Holocaust erfolgte durch die Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942 in Berlin, bei der fünfzehn Männer über das Schicksal von Millionen befanden: Sie planten europaweite Deportation und Massenmord. Nur acht Wochen später, am 16. März 1942, begann die „Aktion Reinhardt” mit der Deportation von Jüdinnen und Juden aus den Ghettos Lublin und Lemberg.
„Im Zuge der praktischen Durchführung der Endlösung wird Europa vom Westen nach Osten durchgekämmt.“
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Auszug aus dem Protokoll der Wannsee-Konferenz vom 20.01.1942, S. 8

Villa am Wannsee in Berlin, wo am 20.01.1942 fünfzehn hochrangige NS-Prominente das Protokoll über Zusammenarbeit bei den geplanten Deportationen und Ermordung von Jüdinnen und Juden unterzeichneten. Heute Sitz der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz.
Bis zum November 1943 wurden über 1,8 Millionen Jüdinnen und Juden aus ganz Europa in den Todeslagern Belzec, Sobibor, Treblinka und Majdanek ermordet. Die meisten von ihnen wurden nie identifiziert. Die Zerstörung ihrer Gemeinden und die Vernichtung ihrer Kultur hinterließen ein Leere, die bis heute spürbar ist.

Grodzka Tor in Lublin, 1931, Blick vom jüdischen Viertel in Podzamcze. Heute Sitz des „Grodzka Tor – NN Theater“ in Lublin, das sich dem Gedenken an die Lubliner Jüdinnen und Juden widmet.
Foto: Edward Hartwig. Sammlung von Ewa Hartwig-Fijałkowska.
Extras:
Sara Barnea
Das Wannsee-Konferenz Protokoll
Die Wannsee-Konferenz
Sammlung von Ewa Hartwig-Fijałkowska
Sammlung von Symcha Wajs

Sara Barnea, geboren Frydman, wurde am 10. Dezember 1930 in Tomaszów Lubelski geboren. Die Eltern : Szmuel Frydman und Mirla Gorzyczańska. Die Großeltern väterlicherseits, Mala und Efraim Frydman, wohnten in Lublin in der Lubartowska-Straße 35. Die Großeltern mütterlicherseits, Fiszel und Mindla Gorzyczański, wohnten in Tomaszów, der Großvater betrieb Handel mit Wein und Wodka.
Nach dem Tod des älteren Bruders von Sara, der als Kind verstarb, zogen ihre Eltern nach Lublin und sie wuchs bei ihren Großeltern in Tomaszów auf. Erst nach einer gewissen Zeit kam sie wieder zu ihren Eltern. Sie wohnten in der Altstadt, im fünften Haus links hinter dem Krakauer Tor. Sara ging zu Cheder und zu einer jüdischen Schule für Mädchen Bet Jakov in der Lubartowska-Straße in Lublin und danach besuchte sie eine polnische Volksschule in Tomaszów. Bei Beginn des Zweiten Weltkrieges lebte sie in Tomaszów, von wo sie mit ihren Eltern auf russische Gebiete floh und ins Innere der UdSSR verschleppt wurde, wo sie den Krieg überlebte. Nach der Rückkehr aus der UdSSR kam sie in Szczecin an, wo sie das Gymnasium und das Lyzeum (die Oberschule) für Erwachsene besuchte. Auch in Szczecin lernte sie ihren zukünftigen Ehemann kennen und von dort aus reiste sie 1949 mit ihm und mit ihren Eltern nach Israel aus. Am Anfang wohnte sie mit ihrem Ehemann und ihrer Tochter in einem Kibbuz und danach außerhalb. Der Ehemann von Sara Barnea arbeitete im Verteidigungsministerium und 1956 wurde auch seine Frau dort angestellt. Im Jahre 1959 verreisten Sara und ihr Ehemann als Diplomaten mit den Kindern nach Polen – das Ehepaar arbeitete drei Jahre lang in der israelischen Botschaft in Warschau. Nach der Rückkehr nach Israel setzte Sara ihre Arbeit im Verteidigungsministerium fort, sie war unter anderem für die aus der UdSSR ankommenden Juden verantwortlich. Im Jahre 1980 ging Sara in Pension, aber in den nächsten 15 Jahren arbeitete sie noch mit dem Ministerium zusammen. Sie blieb in Kontakt mit Polen, übersetzte verschiedene Texte aus dem Hebräischen ins Polnische und umgekehrt und auch aus dem Russischen. Sie veröffentlichte ihre Erinnerungen, die unter dem Titel „Jeszcze jedna opowieść i małe opowieści“ (deutsch: Noch eine Erzählung und kleine Erzählungen) auch in Polen erschienen sind. Sara Barnea verstarb 2015.
Das Wannsee-Konferenz Protokoll
Das Protokoll der Sitzung vom 20. Januar 1942 beginnt mit der Auflistung der Teilnehmer.
Im Wesentlichen jedoch wird im Protokoll eine Sprache benutzt, die die Dimension von Unrecht und Gewalt bewusst verschleiert. Geplante und bereits geschehene Massentötungen wurden bei der Besprechung zwar mutmaßlich angesprochen, im Protokoll sind sie aber nur zwischen den Zeilen zu finden.
Der zweite Teil beschreibt den Auftakt der Besprechung: Reinhard Heydrich eröffnete sie mit dem Hinweis auf seine Befugnisse und stellte die Ziele der Besprechung vor. Danach fuhr er fort mit einem Bericht über die bisherigen Vertreibungen von Jüdinnen und Juden. Auf Seite fünf endet der zweite Teil des Protokolls. Es wird darauf hingewiesen, dass die Auswanderung, die es bisher gab, inzwischen verboten sei.
Abschnitt drei nennt anschließend als künftige Vorgehensweise die „Evakuierung […] nach dem Osten“. Weiter heißt es: „Diese Aktionen sind lediglich als Ausweichmöglichkeiten anzusprechen, doch werden hier bereits jene praktischen Erfahrungen gesammelt, die im Hinblick auf die kommende Endlösung der Judenfrage von wichtiger Bedeutung sind.“
Da auch von einer „vorherigen Genehmigung durch den Führer“ die Rede ist, wird also auch konkret auf Hitler Bezug genommen und dessen Billigung des Vorgehens.
Auf Seite sieben unten behandelt das Protokoll den Plan, die in den Osten deportierten Jüdinnen und Juden durch Zwangsarbeit nicht nur auszubeuten: „In großen Arbeitskolonnen, unter Trennung der Geschlechter, werden die arbeitsfähigen Juden straßenbauend in diese Gebiete geführt, wobei zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen wird.“ Anders ausgedrückt: Die Menschen sollten durch Zwangsarbeit ermordet werden.
Der vierte und letzte Abschnitt ab Seite zehn dokumentiert den Versuch, klare Vorgaben zu machen, welche Menschen deportiert werden sollen. Dabei werden verschiedene Verwandtschaftsbeziehungen erläutert, die zu sogenannten „Mischlingen“ ersten oder zweiten Grades führen und sogenannte „Mischehen“ thematisiert.
Vom Protokoll der Besprechung am Wannsee gab es dreißig Ausfertigungen oder Kopien, doch bis heute ist nur ein einziges Exemplar gefunden worden. Das Original des Protokolls befindet sich im “Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin” (R 100857, Bl. 166-188).
Das Wannsee-Protokoll in der Originalfassung

Die Wannsee-Konferenz
In dieser Villa trafen sich am 20. Januar 1942 15 hochrangige Repräsentanten des nationalsozialistischen Regimes: Parteifunktionäre, Vertreter der Ministerien sowie SS- und Polizeibeamte.
Wie in der Einladung angekündigt, sollte die „Endlösung der Judenfrage“ beraten werden. Gemeint war damit die systematische Ermordung aller Jüdinnen und Juden in Europa.
Eingeladen hatte Reinhard Heydrich, Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes der SS. Die organisatorische Leitung und Verantwortung beanspruchte Heydrich für sich. Seine Führungsrolle stützte sich auf einen Befehl von Reichsmarschall Hermann Göring, eine sogenannte „Gesamtlösung der Judenfrage“ vorzubereiten. Auf der Besprechung waren allerdings weder Hitler noch andere aus der obersten Führungsriege des NS-Regimes anwesend.
Es ging nun um das Wie – also darum, wie die Ermordung von Millionen Menschen effektiv durchzuführen sei. Der Massenmord war schon zuvor auf höchster Regierungsebene gebilligt worden und war in Ostpolen, Serbien und der besetzten Sowjetunion bereits im Gange.
Es gab ein ständiges Kompetenzgerangel zwischen dem SS- und Polizeiapparat und den anderen auf der Besprechung vertretenen Behörden – etwa anderen Teilen des Innenministeriums oder den Zivilverwaltungen der besetzten Gebiete im Osten. Die Teilnehmer waren vor allem darauf bedacht, die Interessen ihrer jeweiligen Institution zu wahren und rechtlich klar zu definieren, wer deportiert werden soll.
Die Besprechung wurde später als „Wannsee-Konferenz” bezeichnet.
Mehr lesen: Die Besprechung am Wannsee und der Mord an den europäischen Jüdinnen und Juden – Die Ausstelung Ausstellung im Haus der Wannseekonferenz
Die Wannsee-Konferenz

Sammlung von Ewa Hartwig-Fijałkowska
Im November 2004 bekam das Zentrum „Grodzka Tor – Theater NN“ in Lublin einen Teil des fotografischen Erbes von Edward Hartwig. Dieses Material wurde dem Zentrum während der Veranstaltung zur Namensgebung von Zaułek Hartwigów (deutsch: Gasse der Hartwigs) überreicht. In Anwesenheit von Familienmitgliedern, unter anderem Julia Hartwig, übergab Ewa Hartwig-Fijałkowska – die Tochter von Edward Hartwig – dem Zentrum die Lubliner Fotos ihres Vaters. Im Oktober 2014 übergab Ewa Hartwig-Fijałkowska Grodzka Tor den nächsten Teil des Bestandes von Edward Hartwig. Die weiteren Materialien kamen ins Zentrum „Grodzka Tor – Theater NN“ im Jahre 2016. Auf diese Weise kam das Zentrum in Besitz von insgesamt 3339 Fotos von Edward Hartwig.
Die letzten Unterlagen aus dem Lubliner Archiv von Edward Hartwig kamen ins Zentrum „Grodzka Tor – Theater NN“ im Jahre 2022. Das von Ewa Hartwig-Fijałkowska überreichte Erbe von Edward Hartwig macht einen Bestand des Archivs der Familie Hartwig aus. Außer den Fotos von Edward Hartwig enthält das Depot auch das Archiv von Julia Hartwig und Artur Międzyrzecki.

Sammlung von Symcha Wajs
Die Sammlung von Fotos, die dem Zentrum „Grodzka Tor – Theater NN“ in Lublin von Symcha Wajs, einem gesellschaftlich engagierten Vorstandsmitglied der jüdischen Glaubensgemeinde in Warschau und einem unersetzbaren Aktivisten für Auseinandersetzung mit der Geschichte der Lubliner Jüdinnen und Juden, übergeben wurde, macht ein einzigartiges Zeugnis der Shoah aus. Sie beginnt bei Bildern, die den Anfang des Lubliner Ghettos darstellen, bis zu Aufnahmen von dessen Liquidierung am 16. März 1942 – also vom Beginn eines der größten Verbrechen in der Geschichte Europas – der „Aktion Reinhardt“, die die Ermordung der jüdischen Bevölkerung des Generalgouvernements bedeutete, die auf die anderen von den Deutschen besetzten europäischen Staaten erweitert wurden.